Meersburg, den 10. Juni 2016 –
Erstmals wurde am Bodensee eine 24-Stunden-Wanderveranstaltung, organisiert von Original Landreisen AG, ein kommerzieller Veranstalter, der bereits seit 2011 unter dem Signet “…Blodere an de Fueß” (auf Hochdeutsch: “…die Herausforderung 24 Stunden wandern!”) anbietet, durchgeführt. Verlockend die Ausschreibung, insbesondere aus Sicht eines Odenwälder Wanderers, der nicht gerade in einer wasserreichen Region lebt. 64 Kilometer, 1.028 Höhenmeter, 17,5 Stunden Gehzeit, als geführte Wanderung mit maximal 40 Teilnehmer – von Konstanz bis nach Meersburg – rund um den Finger des Bodensees, den Überlinger See, der nordwestlichsten Teil des Obersees. Dabei orientierte sich der Veranstalter am neuen Premium-Wanderweg, den 53 Kilometer langen SeeGang, der offiziell von Konstanz nach Überlingen führt. Der Treffpunkt ist für 14.00 Uhr am Fährhaus in Meersburg angesetzt, so die Order des Veranstalters. Demnach war Zeit genug, da bereits am Vortag in Immenstaad angereist, per Schiffspassage von Immenstaad nach Meersburg übersetzen.
Bereits bei Ankunft in Meersburg merkt man, dass man sich an einem touristischen Hot-Spot des Bodensees befindet. Permanent strömen die Besucher, ob per Schiff, Bus, Auto oder Rad ankommend in die bemerkenswerte Stadt, die über eine markante Oberstadt mit einer Burganlage verfügt. Pünktlich um 14.50 Uhr setzten 34 von 41 gemeldeten Teilnehmern (Schwund durch Krankheit/Verhinderung) mit der Fähre nach Konstanz über, dort wo der Veranstalter die Protagonisten zum offiziellen Start um 15.15 Uhr begrüßt. Die meisten Teilnehmer kommen aus dem Umland und dem näheren Schwarzwald. Dem internationalen Charme des Bodensees Rechnung tragend, bereichern dabei zwei Schweizer Wanderinnen den Extremwandertrupp. Die Wetterbedingungen sind optimal, ehr noch ein Tick zu warm. Stahlblauer Himmel, fette Cumuluswolken und markante Ausblicke zur Schweizer Alpstein-Berggruppe, dort, wo sich der markante Säntis mit über 2.500 Höhenmetern als Landmarke hochstreckt.
Von der Fährstation geht es zunächst einem Stück des Bodensee-Rundweges folgend in einer Schleife,entlang der Universität durch den Mainauwald vorbei am touristischen Epizentrum des Bodensees, der Insel Mainau. Am Festland reiht sich hier Naturschutzgebiet an Naturschutzgebiet und Waldzone an Waldzone. Mitnichten führt der Trail entlang des Bodenseeufers, von Strandpromenade zu Strandpromenade, sondern bietet Gelegenheit einzutauchen in die Naturlandschaft des Bodensees, angereichert mit punktuellen Blicken auf das Gewässer.
Kurz vor Dingelsdorf ist die erste Raststation, der Fuchshof erreicht. Seitens des Veranstalters wurde darauf geachtet, die regionale Gastronomie mit einem ansprechenden Ambiente einzubinden, was bereits bei der ersten Station vollumfänglich gelungen ist. Auf der Außenterasse lassen wir uns das deftige Abendbrot schmecken. Nicht unerwähnt soll die Tatsache bleiben, dass am Fuchshof unter anderem zehn Sorten Erdbeeren angebaut werden, darunter die Königin der roten Beere, die prägnant-schmackhafte Sorte Lambada.
Wohlgestärkt und gutlaunt ziehen wir weiter, hinein in die Nachtrunde. Oberhalb von Wallhausen geht es auf schmalen Pfaden hinein in eine urwaldähnliche Waldlandschaft, unweit der bekannten Marienschlucht, die jedoch für eine nächtliche Exkursion absolut ungeeignet ist. Nach einem dramatischen Erdrutsch im Frühling 2015 besteht derzeit noch immer akute Lebensgefahr im Areal. Die Schlucht ist weder zu Fuß noch per Schiff erreichbar. Der Zutritt ist 2016 verboten worden, und eine Begehung wird frühstens 2017 in Aussicht gestellt. Vorbei an einem Golfgelände des Konstanzer Golfclubs ist gegen 23 Uhr ist die nächste Lokation erreicht, der Hof Höfen, dort wo für die Wanderschar mit Mitternachtsuppe, Kaffee und Kuchen bestens vorgesorgt ist. Ein mächtiger Biergarten und eine schöne Vesperstube machen diesen Ort zu einer begehrten Einkehrstation. Auch das hier kredenzte Weißbier des Traditionsbrauhauses Schussenrieder kann wohlweislich nach 28 absolvierten Kilometern empfohlen werden. Lau und windstill die Nacht bei sehr angenehmen 17 Grad, die noch bis morgens um 03.00 Uhr Bestand haben werden.
Kurz vor Aufbruch werden wir noch gebeten, einem Gast des Hofes ein Geburtstagsständchen dazubieten, was gerne übernommen wird. Der 24-Stunden-Wandertrupp als Chorgemeinschaft – eine durchaus neue und erfrischende Erfahrung. Auf den nächsten Kilometern der Nachtstrecke outen sich zwei Wanderfreunde als begnadete text- und melodiesichere Bänkelsänger mit einem nicht zu verhelenden Schwerpunkt auf altdeutsche Seemanslieder. Schön zu erfahren, dass das deutsche Liedgut auch in der jüngeren Generation noch gepflegt wird.
So ziehen wir weiter, um nach zwei weiteren Stunden die Kehre des Überlinger Sees hinter der Ortschaft Bodman zu erreichen. Der Name Bodensee hat übrigens semantisch seinen Ursprung aus der Bezeichnung der Kommune. Durch die Abschleifung der Sprache wurde aus Potamanns Bodam, Bodan, Bodensee. Im Stadtpark von Ludwigshafen hat der Veranstalter noch eine Überraschung eingebaut. Da zwischen Mitternachtsuppe und Frühstück sechs Stunden liegen, wird die Wanderschar in Ludwigshafen mit Tee und Kuchen aufgemuntert. Bei immer noch lauen 16 Grad hebt das die Stimmung des Wandertrupps merklich. Pünktlich nach Rastende setzt leichter Niesel entlang des Uferweges ein. Erste Vorboten für größere Regenfälle, die ab den frühen Morgenstunden avisiert wurden? man wird sehen.
Auf dem Weg zur Frühstücksrast erfahren wir, dass mit dem Bodenseewasser vier Millionen Baden-Württemberger inklusive Stuttgart versorgt wird. Als sich vor rund 15.000 Jahren die letzten eiszeitlichen Gletscher in die Alpen zurückzogen, hinterließen sie eine sanft modellierte Landschaft, in deren Mitte sich das Becken des heutigen Bodensees befindet. Der Rhein führt dem See große Mengen von naturbelassenem Schmelz- und Regenwasser aus den Alpen zu. Zusammen mit weiteren Zuflüssen aus dem Allgäu und rund um den See durchströmen den Bodensee jährlich 11,5 Mrd. Kubikmeter Wasser. Bei Sipplingen liegt dabei die größte Fernwasserversorgung Europas. 2005 erfolgte hier ein Giftanschlag. Der Täter versenkte Kanister mit Pflanzenschutzmitteln im Wasserschutzgebiet. Wegen des enormen Verdünnungseffekts ließen sich glücklicherweise nur unbedenkliche Spuren nachweisen. Danach wurde ein Sperrgebiet eingerichtet, und die Seefläche wird zusätzlich mit Kameras und Radar überwacht.
Frei nach dem Motto “Das Frühstück muss man sich erstmal verdienen” geht es vor Sipplingen mächtig aufwärts. Mehr als 250 steile Höhenmeter sind zu absolvieren, bis der urige Höhengasthof Haldenhof erreicht ist. Der Hof „uff der Halden“, wie der Haldenhof in den frühsten Urkunden genannt wird, kann auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken. Ursprünglich als Wirtschaftshof für die Burg Hohenfels errichtet, kam der Hof nach dem Aussterben des Rittergeschlechtes Hohenfels zum Spital Überlingen, das ihn nunmehr seit über 500 Jahren in seinem Besitz hat. Wer bis dato noch nicht ins Schwitzen gekommen ist – ab nun wird es feucht – von innen nach außen. Obschon erst für sechs Uhr avisiert, erbarmen sich die Wirtsleute und sperren die Gaststube bereits um 5.45 Uhr auf. Nach einer ausgedehnten Frühstücksrast geht es in die letzte Runde. Pünktlich zum Start setzt ein kräftiger Regenschauer ein. Segensreich die Erkenntnis, dass das Regenzeugs nicht umsonst eingepackt wurde.
Durch einige Naturschutzgebiete führt der SeeGang nach Überlingen, welches lediglich am Industriegebiet touchiert wird. Grau in grau bedingt durch das vom Alpenbereich herangezogene Tief. Kein Sonenaufgang – und kein blauer Himmel – jedoch ein sich immer mehr zurückziehendes Regengebiet. Mit einem perfekt getimten Szenarie, Sonnenschein und blauer Himmel werden wir pünktlich zur Mittagsrast gegen 12.00 Uhr am Oberhof in Birnau empfangen. Das 300 Jahre alte denkmalgeschützte Objekt liegt oberhalb der bekannten Wallfahrtskirche Birnau, dem “Barockjuwel am Bodensee” und ist auch aus diesem Grunde sehr begehrt für Hochzeitsfeiern. Eine herrliche Lokation und ein ausgezeichneter Ort, ein – nein zwei- Belohnungsweißbiere als Gegenmaßnahme einer sich abzeichnenden Unterhopfung einzunehmen, auch wenn noch mehr als acht Kilometer bis nach Meersburg zu absolvieren sind.
Stark aufziehende Bewölkung und fernes Donnergrollen veranlassen uns zum zeitigen Aufbruch. Scheinbar vom Veranstalter perfekt getimt, schließt sich nach Ende der Mittagspause das Schönwetterfenster und es setzt wiederum Landregen ein. So geht es mit einem langen Schritt vorbei an Unterruhldingen, dort wo die Bodenseer Pfahlbautenanlage besichtigt werden können und weiterführend auf einem fünf Kilometer asphaltierten Radweg entlang der L201 nach Meersburg. Per se eine richtige Entscheidung der vier Guides, angesichts des drohenden Gewitterrisikos. Auch wenn die letzten asphaltunterlegten Kilometer für manch einen Teilnehmer nochmals eine deutliche Belastung sind, mit Erreichen des Ortschildes von Meersburg reißt der Himmel wiederum auf – und die Sonne erobert den wolkenverhangenen Himmel zurück. Müde aber glücklich nehmen die Bodenseehelden am Ziel die Siegermedaille nebst Finisher T-Shirt in Empfang.
Resümierend ist festzuhalten, dass dem Veranstalter die Bodenseepremiere gelungen ist – sogar außerordentlich. Auch wenn der Teilnehmerpreis im Vergleich zu anderen 24-Stunden-Veranstaltungen durchaus ambitioniert ist – die Gegenleistung stimmt. Eine professionelle Führung, ein ausgewogenes Timing mit einer reinen Gehzeit von 17 Stunden, eine angemessene Pausenlänge (auch wenn einige Teilnehmer gerne durchmaschiert wären) und sehr gute Einkehrmöglichkeiten. Man darf gespannt, welche Streckenvariante am Bodensee in 2017 angeboten wird.
Ausgeschrieben waren 64 Kilometer – getrackt wurden 71 Kilometer mit 1.249 Höhenmetern. Zwei Teilnehmer hatten 66 Kilometer erhoben. Immer wieder stellt sich die Frage: woher resultieren derartige Unterschiede. Üblicherweise werden Wanderstrecken mit entsprechenden Programmen und einer überschaubaren Anzahl an Wegepunkten vorgeplant. Je geringer die Wegepunkte, desto größer die Abweichung. Handelsübliche GPS-Geräte sind auf sechsstellige UTM-Koordinaten eingestellt, was letztendlich eine Pseudogenauigkeit im Hobbybereich vorgaukelt. Mit knapp 6.000 gemessenen Trackenpoints auf der Strecke präzisiert sich demnach die Messung. Eine einfach geführte Glättung der aufgezeichneten Daten reduziert die Streckenlänge bereits um drei Kilometer. Hinzu kommen auch unterschiedliche Einstellungsmöglichkeiten der Erhebung der Trackingpunkte (Zeit, Distanz,) Entscheidend jedoch ist letztendlich der Wandergenuß, der Austausch mit gleichgesinnten Wanderfreuden und eine gepflegte Einkehr in schönen Lokationen.
Bleibt als Nachtrag noch eine Überlegung. Käme man auf den Gedanken den Bodensee an einem Stück komplett zu erwandern, dann würde selbst eine 48-Stunden-Wanderung, wie sie aktuell Hans Kammerlander in Südtirol anbietet, nicht genügen. 273 Kilometer Uferlänge sind hierfür eine Hausnummer zu groß.
Hallo lieber Martin,
das ist eine supertolle Doku mit Bilder. Es sind alle Eindrücke dabei. Ich muss es immer wieder lesen und es motiviert zum Wiederholen.
Ganz herzlichen Dank.
Grüße aus dem Schwarzwald
Angelika Schmidt
Vielen Dank Angelika. Das ist letztendlich auch Sinn und Zweck der Blogbeiträge – zu infizieren, mit dem Wanderbazillus… LG Martin