Alt Hürth, den 23. Januar 2016
Ville – kein Hinweis auf eine französische Ansiedlung sondern eine Ableitung von einem altfränkischen Wort *feli, *fili ab, das die Bedeutung ‚(Hoch)ebene‘ oder ‚Heide‘ gehabt haben könnte, und r einen 50 Kilometer langen Höhenzug westlich von Köln bezeichnet. Die Ville ist ein geologischer Halbhorst, der beim Einsinken der Kölner Bucht zurückgeblieben ist. Subtropisches Klima war hier vor 35 Millionen verantwortlich, dass hier ausgedehnte Torfgebiete entstanden, aus denen sich im erdgeschichtlichen Verlauf eines der größten Braunkohlevorkommen der Welt entwickelte. Als das Brühler Unternehmen Rodergruber AG 1877 hier das erste rheinische Braunkohlebrikett presste war der Grunstein für die industrielle Braunkohleherstellung im Rheinland gelegt. Hier bildeten die Gruben Gruhlwerk Berggeist, Maria Glück und Berggeist das Zentrum des rheinischen Reviers. Durch steigendes Grundwasser und Oberflächenwasser entstanden die heutigen Seen in den ausgekohlten Gruben. Bis 1976 wurde hier Braunkohle abgebaut. Das zuletzt ausgekohlte Gebiet bei Knapsack, das Ville Nordfeld, ist heute ein beliebtes Naherholungsgebiet und wird als Naturschutzgebiet sich selbst überlassen.
Ideal daher die Rahmenbedingungen für einen schönen 50-Kilometer-Marsch zudem die Wandergesellen in Alt-Hürth in der dritten Januarwoche eingeladen haben. Das Blitzeis der vergangenen Nacht hatte sich dank Tagestemperaturen von 8 Grad aufgelöst, der Himmel zwar stark bewölkt, das Areal selbst platt wie ein Flunder ohne nennenswerte Steigungen.
Eine stattliche Anzahl von erfahrenen Langstreckenläufern hatten sich bereits deutlich vor dem offiziellen Start um 7.30 Uhr im Startlokal eingefunden. Die Halle fastnachtlich dekoriert – hier man merkt an allen Ecken und Enden, dass wir uns mitten in der fünften Jahreszeit befinden. Unruhig scharren die Protagonisten mit den Füßen, man merkt Vielen an, dass nach der langen dunklen Jahreszeit der Drang groß ist die vorhandene Wanderobsession auszuleben. 10 Stunden und 30 Minuten stehen als Zeitfenster für die längste Strecke, die 50-Kilometer zur Verfügung. Für diejenigen, die sich an eine deratige Distanz wagen jedoch im Allgemeinen unproblematisch, da durch die Bank weg mit einem 6 km/h Schnitt auf den Wegen gearbeitet wird.
“Achtung Taschenlampe nicht vergessen”, so der Hinweis des Veranstalters, was für die erste halbe Stunde durchaus sinnvoll war. Sechs Streckenalternativen, von 6 bis 50 Kilometer hatten die Wandergesellen vorbereitet, kaskadierend aufgebaut und auf der längsten Strecke mit 11 Verpflegungsstationen, davon vier als Doppelstelle versehen. Durch den westlichen Rand des Naherholungsgebietes geht es oberhalb des Chemiewerkes Knapsack vorbei am Margarethenweiher durch den Kottenforst zum Gruhlsee. Die Wege waren dank nächtlichen Regenguß gut eingeschlämmt, stellenweise war das Blitzeis der Vornacht noch errutschbar.
Der Brühler Ortsteil Heide ist noch eingemantelt im morgendlichen Dunst. Zwischen dem langgestreckten Heider Bergsee und dem Franziskussee geht es zum Untersee. Beim Gang durch den Wald bemerkt man durchaus wie jung die Bäume sind, die hier im Rahmen des Renaturisierungskonzeptes angesiedelt wurden. Immer wieder kann man naturbelassene Fleckchen entdecken, sofern man sie sehen möchte. So geht es zunächst die A 553 Brühl Süd querend zum Borkenhof mit angeschlossener Kapelle. Leidgeprüfte Eltern kennen diese Autobahnabfahrt bestens – liegt hier vis a vis der Freizeitpark Phantasialand, wo für teures Geld die Freizeit totgeschlagen wird. Hinter dem Lucretiasee und Berggeistweiher, die namenstechnisch auf die alten Gruben hinweisen, setzt eine neun Kilometer lange Runde für die 50-Kilometer-Teilnehmer ein.
Am östlichsten Zipfel des Trails ist bei exakter Tourenhälfte in einer Scheune der fast 300 Jahre alten Kitzburg eine Verpflegungs- und Kontrollstation eingerichtet. Ab hier gilt es den Kodex der rheinischen Frohnaturen die die Stationen betreuen aufzunehmen. Zur Halbzeit ein lecker Kölsch (verantwortungsgbewußt hat der Veranstalter auf Gaffel-Kölsch verzichtet Danke vielmals!!). Ab nun gilt es, pro Stationen bis zum Ziel ein Kölsch zur Labung aufzunehmen. Ein Blick auf den Streckenplan verdeutlicht – fünf Stationen sind noch zu absolvieren.
Vorbei an römischen Spuren einer ehemaligen villa rustica und einer römischen Kanalanlage geht es zurück, vorbei am Langen Berg (schon wagemutig hier von Berg zu reden), dem Swistertürmchen, ein Turmmonolith einer ehemaligen Wallfahrtskirche, zum westlichsten Zipfel der Tour nach Bliesheim.Durch den Altwald Ville geht es entlang des Silbersees hinauf zur Villenhofer Maar vorbei an den bekanntesten Seen der Landschaft, dem Heider Bergsee und dem Bleibtreusee. Badestrände und Bootsstege legen Zeugnis ab, dass hier im im Sommer mächtig etwas los sein muss.
Nach knapp neun Stunden sind immerhin bemerkenswerte 453 Höhenmeter, 52 Kilometer und sechs leckere Kölsch abgearbeitet. Ähnlichkeiten zu einer ähnlichen bayrischen Veranstaltung sind durchaus gegeben. Flache Torflandschaft – rheinische Frohnaturen – eine nicht zu verhehlende Kölschlastigkeit einerseits – während andererseits ein Gang durch eine flache Moorlandschaft mit heftig deftiger bajuwarischer Weißbiergemütlichkeit festzustellen ist. Zweifelsohne zählen die Wanderfreunde aus Alt-Hürth zu den Veranstaltern im Bundesgebiet die in einer Liga neben Ebernhahn, Koblenz und Haspelmoor derartige Veranstaltungen auf hohem Niveau stemmen.
Hallo Martin,
offensichtlich warst Du zu schnell für uns, denn kurz nach 17:00 Uhr im Ziel, habe ich Dich nicht mehr entdeckt (schade, kein gemeinsames Bierchen).
Wiederholt mein Dank für Deinen hochwertigen Bericht und Deine beachtenswerten Bilder.
Grüße aus Soest und bis demnächst
Wilhard