Hamburg, den 31. August 2019 –
Stadtwanderungen haben ihren eigenen Charme. Goethes bekannte Erkenntnis “Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen” hat auch im Zeitalter von E-Scooter und -bikes noch seine Existenzberechtigung. Das Deutsche Wanderistitut trägt diesem Trend Rechnung und hat Zertifizierungskriterien für Premium-Stadtwanderwege entwickelt. “Premium-Stadtwanderwege sind Wanderwege in Städten bei denen die Wegedramaturgie zusammenhängende städtebauliche, touristisch interessante Erlebnisszenarien sowie städtische und stadtnahe Naturerlebnisse in einem ausgewogenen Verhältnis über den gesamten Wegverlauf einschließt” so das akademische Credo des Instituts.
Bereits zum zweiten Mal richtete die Nord-Marsch Sportevents UG einen Hamburger Urban-Marsch für 1.000 Teilnehehmer aus. Im Angebot insgesamt vier Strecken zwischen 15 und 55 Kilometer. Bereits im Vorfeld wurden die Wanderfreunde mit einem Newsletterdienst nebst detaillierte Wegbeschreibungen und GPX-Tracks auf die Veranstaltung eingestimmt.So fanden sich am letzten Augusttag von 996 angemeldeten Teilonehmern insgesamt 874 Wanderbegeisterte am Startort, unweit des Hagenbeck Tierparks, ein. Mag sein, dass die prognostizierten Tagestemperaturen von 33 Grad in der Spitze den ein oder anderen Teilnehmer abgeschreckt hatten.
Professionell die Vorbereitung und das begleitetende Marketing der Veranstaltung, ausgesprochen spartanisch hingegen die Eröffnung und Startfreigabe für die Langstreckenwanderer, die das erste Startfenster belegten. Bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung wäre eine andere Form der Ansprache durchaus angemessen.
Vom Stadtteil Stellingen geht es zunächst südwärts der Hagenbeckstraße folgend durch den Stadtteil Eimsbüttel hinein in das Hamburger Schanzenviertel. Man merkt von Anbeginn daß der Veranstalter bei der Streckenplanung Wert darauf gelegt hat, die Hamburger Highlights gebührend zu berücksichtigen So wurde man korrekterweise mit der gesamten Bandbreite dieser Weltmetropole konfrontiert. Das Schanzenviertel – einst ein heruntergekommenes Altbauviertel, heute einerseits als hippes Szeneviertel mit ausgeprägt vielen portugisischen Gastrobetrieben bestückt, andererseits im Areal der Roten Flora versifft und verranzt und bekannt als Epizentrum der Autonomen-Szene. Hamburg unplugged.
Raus aus dem einen Szeneviertel um das Nächste -St. Pauli- zunächst zu streifen. Markant markieren die 2012 errichteten Tangotürme, auch im Volksmund als Tanzende Türme bekannt, bereits von Weitem, wo St. Pauli liegt. Jedoch – die erste Schleife führt zunächst vorbei an den Landungsbrücken um erstmals den zentralen Knotenpunkt der Urban-Marsch-Veranstaltung, der im Schatten des Gruner+Jahr-Gebäudes liegt, zu erreichen. Die 55-Kilometer-Walker werden hier insgesamt viermal eintreffen, da konzeptionell sehr ökonomisch der Veranstalter vier Schleifen mit dem Knotenpunkt in der Mitte gezogen hatte um die Highlights der Hafenstadt zu erschließen.
Anhand eines Farbschemas wurden dabei den Wanderern die Reihenfolge der zu begehenden Schleifen vorgegeben. Die 55-Kilometer-Marschierer werden zunächst westlich auf die rote Piste geschickt. Vorbei an den Landungsbrücken geht es entlang der berühmt-berüchtigten Hafenstraße zum Hamburger Fischmarkt, dort wo jeden Sonntag ab 5 Uhr morgens die Post abgeht. Samstagvormittags hingegen herrscht hier eine ungewohnte Ruhe und Stille.
Vom Fischmarkt geht es weiter durch den Holzhafen, dem ältesten Hafenbeckens Altonas, welches bereits 1722 angeelegt wurde. Das Viertel wurde architektonisch aufgebohrt und hat sich mittlerweile als gehobenes Areal etabliert. Ein Highlight der Schleife ist der Elbstrand von Övelgönne, der bis 1890 noch als Landgemeinde im Kreis Pinneberg lag. Für viele Hanseaten eines der schönsten Strände der Welt inclusive gehobenen Wellengang wenn ein größeres Frachtschiff vorbeizieht. Am Scheitelpunkt des Övelgönner Hohlwegs ist eine unbesetzte Wasser- und Kontrollstation eingerichtet.
Unspektakulär geht es über die lange Bernadottenstraße zurück, um zunächst Hamburg Altona zu queren, bevor ess durch die “sündigste Meile der Welt” die Reeperbahn geht. Sicherlich wäre es spannender das Areal bei einer Nachtwanderung zu erschließen, denn tageslichttauglich ist das Gebiet nicht wirklich. Andererseits bemerkt man auch daß durch innovative Mediatektur, wie sie am Klubhaus St. Pauli angewendet wurde, punktuell eine Aufwertung des Stadtteils vollzogen wird. Am Ende der der Reeperbahn wird erneut der Millerntorplatz gequert, um vorbei am Alten Elbpark zum Knotenpunkt zurückzukehren.
Vom Westen zum Osten – so die Marschrichtung der nächsten Schleife. Mittlerweile herrscht im touristischen Zentrum der Stadt, den Landungsbrücken, Hochbetrieb. Im Minutentakt quellen die Massen aus den Hop-on-Hop-off-Bussen, Scharen von Junggesellinnen- und gesellengangs frequentieren das Hafenareal und Ströme von Tages- und Wochendgästen flanieren entlang des Überseegebietes.
Mit dazubei trägt sicherlich der neueste touristische Fixstern in der Millionenstadt, die mächtige Elbphilharmonie. Dank Bauzaun bleibt leider der Blick in die Speicherstadt verwehrt. So geht es über die Mahatma-Gandhi-Brücke vorbei am 110 Meter hohen Konzertsaal. Vergessen die Bauverzögerung von sechs Jahren, abgehackt die Tatsache dass für das Hörstudio 870 Millionen Euro statt 77 Millionen verbaut wurden. Hamburg ist um ein Kunstwerk aus Musik und Architektur von Weltruf reicher. Partizipiert hat natürlich der ganze Zwickel des Kaiserkais welcher mit hochwertigen Wohnungen, Bürogebäuden und gastronomischen Einrichtungen aufgebohrt wurde. Einmal mehr verdeutlichen sich hier die krassen Welten einer Großstadt, wohlweislich im Hinterkopf habend, dass das Schanzenviertel in walking distance liegt.
Über die Neue Elbbrücke wird das Hafengebiet Kleiner Grasbrook umrundet um im Anschluß über den Klütjenfelder Hauptdeich parallel entlang der gegenüberliegenden mächtigen Hafenbahnanlage zu wandern. Kein Ruhmesblatt erntet der Veranstalter für die hier erneut unbemannt eingerichtete Kontrollstelle, dort wo in der brütenden Hitze in den aufgebauten Kanistern die Wasservorräte zusehends zur Neige gehen.
Nordwärts einschwenkend wird bald der Bornsteinplatz erreicht. Hier an der Steinwerder Seite, kann man fernab des Touristenrummels die Schokoladenseite der Stadt bewundern. Zurück geht es auf dem direktesten Weg. 23 Meter mit dem Aufzug hinab, dann durch den Alten Elbtunnel hindurch und nach fünf Minuten steht man wieder drüben auf der anderen Seite, den Landungsbrücken. Von hier aus geht es zweimal um die Ecke bis erneut der zentrale Knotenpunkt erreicht ist.
Strategisch genial hat der Veranstalter den Standort des Wandermarktplatzes eingerichtet, denn von hier aus geht es quasi um die Ecke, um das Sahnehäubchen der Stadt zu Fuß zu erschließen. Über die Schaarsteinwegbrücke flaniert man entlang der Alsterfleet um durch Hamburgs älteste Flaniermeile, den Alsterarkaden, den Jungfernstieg zu erreichen.
Im Zentrum der nordöstlichen Wanderschleife stehen dabei die Binnen– und die Außenalster, die es zu umrunden gilt. Bei hochsommerlichen Wetterkonditionen hat man das Gefühl, daß halb Hamburg sich entweder auf dem Wasser tummelt oder sich rund um das Wasser niedergelassen hat. Man muß die Hamburger schlichtweg beneiden um dieses Kleinod. Inmitten einer Großstadt über eine 180 Hektar große Seenanlage zu verfügen ist ein besonderes Geschenk. Segler, Bootsfahrer, Stand-Up-Paddler bereichern dabei das Szenario auf dem Wasser. Einzig nervig sind viele E-Roller-Fahrer, die hirnlos mit Hochgeschwindigkeit, durch Fuß- und Radwege fräsen, handytelefonierend und bierflaschenschwenkend den Unmut der Alsterbesucher auf sich ziehen.
Man ist schon beeindruckt über die Weitläufigkeit der Alster. Gute acht Kilometer benötigt man für die ausgedehnte Runde. Über den Eichenpark und dem Alstervorland erreicht man den Alsterpark um unter die Kennedybrücke hindurch den Neuen Jungfernstieg zu erreichen. Über die Große Bleichen geht es letztmalig zum Wandermarktplatz zurück.
Was bleibt ist der Rückweg zum ursprünglichen Startort, der Wolfgang-Meyer-Sportanlage. Jedoch auch hier hat der Veranstalter zum Abschluß eine attraktive Streckenwahl getroffen. Nach dem Einblick in die wasserlastige Freizeitstube der Großstadt stehen auf dem Rückweg die Grünanlagen der Stadt auf der Agenda. So geht es durch die Große und Kleine Wallanlage, dem Alten Botanischen Garten, einer Vielzahl von Wasserspielen, vorbei am Japanischen Landschaftsgarten und den Tropengewächshäusern, durch Planten un Blomen die zwischen dem Congresscenter und den Messehallen angelegt wurden, zurück zum Zieleinlauf.
58 Kilometer bei 321 Höhenmetern, so die Tagesbilanz. Hamburg-Urban-Marsch – eine Strecke die erschlagen hat – nicht streckentechnisch sondern visuell. Eindrücke die noch lange nachhallen werden. Kompliment an den Veranstalter, der eine eine exzellente Strecke ausgearbeitet hat, um die vielschichtigen Facetten dieser gewaltigen Stadt an einem Tag zu entdecken. Vorbildlich ist die grundsätzliche Ausgestaltung der Veranstaltung insbesondere in Sachen Information und Merchandising insbesondere auch im Hinblick der Vorgeschichte des Veranstalters. Wie Steffen Sonne-Ude als einer der Hauptverantwortlichen berichtete, hatten sich vor zwei Jahren zehn Wanderbegeisterte zusammengetan, eine haftungsbeschränkte Unternehmensgesellschaft gegründet um Wanderungen und Märsche wie den Oldenburgmarsch oder den Chaukenmarsch durchzuführen. Einige Schwachstellen in der Veranstaltungsdurchführung selbst sind noch vorhanden, der Veranstalter ist aber auch in der Nachbetrachtung selbstkritisch genug um daran zu arbeiten. Von 874 gestarteten Teilnehmern, davon 356 die auf der 55-Kilometerstrecke und 217, die auf der Marathonstrecke unterwegs waren, kamen 90% am Ziel an – eine sehr bemerkenswerte Quote. So kann man getrost diese Veranstaltung empfehlen, die auch in 2020, dann am 6. Juni stattfinden wird. Und vielleicht sieht man sich beim Chaukenmarsch am 22. August 2020: 110 Kilometer in 27 Stunden im nicht zwingend hügeligen Oldenburg…….
super gemacht , tolle Bilder, toller Bericht !!! KLASSE ! Gruss Stefan