Geisenheim, 20. Juni 2014 7.30 Uhr: “Es kommt nicht darauf an, wie du etwas anfängst, sondern wie du es zu Ende bringt”. Unter diesem Credo begrüßte Wolfgang Django Blum, ausgewiesener Rheinsteigexperte 31 Männer und Frauen, die angetreten waren erstmals in 36 Stunden 100 Kilometer und über 3.000 Höhenmeter zu absolvieren. Obschon viele Teilnehmer in den vergangenen Jahren erste Langstreckenerfahrungen bei Blums 24-Stunden Rheinsteig-Trail sammeln konnten, überwog der Respekt und auch die Ungewissheit vor der sportlichen Herausforderung. Manch ein hochbezahlter Managementtrainer würde vor Neid erblassen, wenn er erleben würde wie routiniert Django den Trupp auf die bevorstehende Aufgabe einschwört. “Keine Bonuspunkte für Rennpferde, keine Tapferkeitsmedaille für Bergsprinter, kein Mitleid für dehydrierte Powerläufer – aber Anerkennung und Respekt, wenn es gelingt, das Event als Teamaufgabe gemeinsam, erfolgreich, vielleicht erschöpft, mit der ein oder anderen Blase behaftet, aber alles in allem unbeschadet, zu meistern. Für jeden Teilnehmer gilt die Zeitvorgabe von 36 Stunden. Das Ganze unterlegt mit hin- und ausreichenden Rast- und Einkehrmöglichkeiten und einem gewogenen Gehschritt von vier Kilometern die Stunde. Als Dreingabe das herrliche Rheintal und gute Wetterbedingungen beste Voraussetzungen für ein gutes Gelingen.” Nach diesen einführenden Worten im Weingut Dillmann zu Geisenheim startete der Bus nach Wiesbaden zum Schloß Biebrich, dort wo um 08.00 Uhr die 36 Stunden Exkursion bei Rheinkilometer begann.
Wiesbaden 08.00 Uhr: Der Rheinsteig durchläuft auf seinem hessischen Teilstück von Wiesbaden bis zur Landesgrenze im Niederthal zwischen Lorchhausen und Kaub wunderschöne Weinlandschaften. Er führt zu attraktiven Aussichtsplätzen und spektakulären Sehenswürdigkeiten. Die einstige nassauische Residenz in Wiesbaden-Biebrich sowie die beiden Weinschlösser Vollrads und Johannisberg gehören dazu; in Jahrhunderte alten Klöstern wird die kirchliche Tradition nicht nur bewahrt, sondern gelebt (Marienthal, Nothgottes, St. Hildegard), die Rieslingrebhänge des Rheingaus sind weltberühmt; die Weinstadt Rüdesheim am Rhein sowie das Unesco-Welterbes Oberes Mittelrheintal mit seiner einzigartigen Dichte an Schlössern, Burgen und Ruinen bilden den romantischen Rhein.
Seit Fronleichnam-Samstag zählt ein weiterer Superlativ dazu: Bei „Rheinsteig ultra“ folgte erstmals eine Gruppe von ambitionierten Wanderern 36 Stunden non stop dem gesamten hessischen Teil des Rheinsteigs Am Ende hängten die Teilnehmer das Stück vom Niederthal bis zum Blücherplatz in Kaub noch dran. Nach Recherchen von Django Blum die erste und bisher einzige geführte 36-Stunden-Wanderung in Deutschlands. Der Natur- und Landschaftsführer im Welterbe Oberes Mittelrhein hatte die Tour organisiert und durchgeführt. Gefragt nach der Motivation, welchen Sinn eine solche (Tor-)Tour macht, räumte der Rheinexperte offen ein: „Sie ist sinnlos – und war doch wunderschön!“. Zudem bestätigte sie sein Motto: „Man muss das Unmögliche versuchen, damit das Mögliche wahr wird!“ Den Teilnehmern gelang gleich bei der Premiere ein Paukenschlag: Von 31 gestarteten Wanderern erreichten 30 das Ziel. Diese Quote von 96,7 Prozent gilt global als Weltrekord bei non-stop-Weitwandertouren. Wesentlichen Anteil daran hat laut Einschätzung der Teilnehmer die Taktik der Tour: Bei „Rheinsteig ultra“ stand nicht die Leistung des Einzelnen, sondern der Erfolg möglichst vieler Teilnehmer im Blickpunkt. „Alleine hätte ich das kaum durchgehalten!“ lautete die übereinstimmende Einschätzung der Finisher. Blum freute sich besonders, dass kein einziger Leistungssportler dabei war, sondern ausschließlich „Menschen wie du und ich“. Die Tour war bewusst als „Wanderung auf hohem Niveau“ und nicht als sportliche Veranstaltung ausgeschrieben.
Um die Gruppe auf der Strecke immer dicht geschlossen zu halten, hatte Django die Wanderer bereits seit Wochen mit regelmäßigen Motivationsmails darauf eingeschworen, den Teamgedanken vor die eigene Leistung zu stellen. Die Bereitschaft der Teilnehmer, ihre individuellen Bedürfnisse dem gemeinsamen Ziel unterzuordnen, um möglichst vielen Wanderern die Chance zum Finishen zu geben, bildete für den erfahrenen Wanderführer die Basis des Erfolges. Besonders freute er sich darüber, dass unter den 32 Teilnehmern der Tour kein einziger Leistungssportler dabei war. „Die Botschaft war klar!“, sagte Blum: „Du kannst es schaffen, wenn Du es wirklich willst – und wenn Dich Andere dabei unterstützen.“
Bei Rheinkilometer 503 am Biebricher Schloß wurde das Wegzeichen des Rheinsteigs aufgenommen , das die Wanderschar bis nach Kaub (Flusskilometer 547) begleitete. Dazwischen folgten die Ultra-Wanderer (mit einer minimalen Abweichung in Johannisberg und Kaub) der Originalroute des Rheinsteigs. Von Kaub bis nach Geisenheim fuhren die Finisher mit dem Schiff zurück und erlebte vom Fluss aus den Weg, den sie zum Teil während der Nacht gewandert war. Vom Weinprobierstand Geisenheim schlenderten die Rheinsteig-ultra-Pioniere zu ihrer letzten Rast auf den Rothenberg, bevor die Tour im Weingut Dillmann endete. Weil auch die Mitternachtspause dort organisiert war, nahmendie Weitwanderer in der Nacht gerne einen Umweg in Kauf.
Die Wetterbedingungen zeigten sich nahezu optimal: Der leichte Nieselregen zum Auftakt am Freitagmorgen hörte bald auf, die Temperaturen am Tag stiegen nicht über 22 Grad,auch in der Nacht blieb das Thermometer zweistellig. Leicht wolkenverhangener Himmel bescherte häufig Schatten, nach Mitternacht leuchteten der fahle Mond und tausende Sterne. In der kürzesten Nacht des Jahres liefen die Wanderer mit Stirnlampe, für faszinierende Lichtstimmungen auf dem Wasserspiegel des Rheins sorgte die Sichel des Halbmondes.
Unterwegs waren fünf Verpflegungsstationen allsamt auf hohem Niveau – sowie mehrere Rastpausen eingeplant. Als unersetzliche Unterstützer im Hintergrund fungierten Blums Ehefrau Ute sowie seine Söhne Constantin und Christian. Die kulinarische Agenda übersandte Django bereits Wochen vor dem Start um die Protagonisten wohlgefällig darauf vorzubereiten, dass eine 36-Stunden keine Tortur sondern eine Bereicherung ist , die alle Sinne anspricht. Manch ein Teilnehmer sprach die Befürchtung aus mehr Pfunde mitzunehmen, als auf der Strecke gelassen zu haben.
Auszug aus dem Fahrplan des Veranstalters:
AS = Apfelsaftschorle, MW = Mineralwasser, ER = Energieriegel und BA = Bananen.
Folgende Stationen sind vorgesehen:
• Am Start: Weingut Dillmann, Weinbergshalle, Kaffee und Tee zur Aufmunterung bei Annette und Karlo Dillmann
• Mittags: Pasta-Party bei Klaus Sinz im Weinhaus Sinz in Frauenstein: Nudeln satt, AS, MW
• Nachmittags: Pause bei René Gurski vom Residenz-Hotel „Am Kurpark“ in Schlangenbad: Kaffee, Kuchen, AS, MW
• Abends: Goumetplatte bei Silke Hoffmann vom Gutsausschank „Zum Wibbes“ in Kiedrich Weingut Wibbes, AS, MW
• Irgendwo unterwegs: 1 BA, 1 ER, AS, MW
• Mitternacht: Weingut Dillmann: Mitternachtssuppe, Tee, AS, MW, 1 ER, 1 BA
• In der Morgendämmerung: open-air-Rastplatz: warmer Tee, 1 ER, 1 BA, AS, MW
• Frühstück: : opulentes Frühstücksbuffet bei Birgit Berg in der „Alten Bauernschänke“ in Assmannshausen , AS, MW
• Mittagessen: Pasta-Party bei Guiseppe und Veronika Alioto vom Restaurant Etna in Lorch, AS, MW, 1 ER
• Nachmittags: KD-Steiger Kaub, 1 ER, 1 BA, AS, MW
• Zieleinlauf: Weingut Dillmann, Geisenheim: Sekt, Saft, Schorle
Bei der sektlastigen Siegesfeier im Weingut Dillmann, wo die Finisher am Samstagabend von Familienmitgliedern und Fans empfangen wurden, gab es für jeden eine Urkunde mit Gruppenfoto. Die Gäste der Abschlusszeremonie erlebten eine fast euphorisch gestimmte Gruppe von Weitwanderern, denen man die Mühen der An- und Abstiege nicht ansah. „Man denkt, man könne Bäume ausreißen“, beschrieb eine Wanderin ihr Wohlgefühl des Wanderrausches.
Mit der 36-Stunden-Wanderung „Rheinsteig ultra“ beendete Blum eine außergewöhnliche Trilogie: An Ostern hatte er erstmals zur 12-Stunden-Tour „Lange Nacht von 8 bis 8“ auf dem künftigen Klostersteig eingeladen, am Pfingstwochenende die 24-Stunden-Wanderung „Mittelrheintal pur“ geführt. Mit der 36-Stunden-Pioniertour „Rheinsteig ultra“ stand am Fronleichnamswochenende der anspruchsvollste Teil der Trilogie auf dem Plan. „Ich finde es klasse, das aus der Vision Wirklichkeit wurde“, strahlte der ebenso überglückliche wie erleichterte „Erfinder“ der Tour. „Das Team war toll!“ zollte er allen Mitwanderern großen Respekt für die individuelle Leistung auf der 96,7 Kilometer langen Wanderstrecke. Mitwanderer Roberto stiftete darüber hinaus für jeden Teilnehmer eine Flasche 36-Stunden-Ultra Riesling-Rheinsekt. Alle Teilnehmer der 2014- Rheinsteig Triologie wurden darüber hinaus noch mit einem Präsent überrascht. Was bleibt im Rückblick: Eine außergewöhnliche Tour, hervorragend organisiert von der außergewöhnlichen Familie Blum, der es wieder einmal gelungen ist, fern aller Kommerzialität den Charakter einer freundschaftlich-familiären Atmosphäre zu bewahren. Respekt und Dank hierfür und ein erwartungsfroher Ausblick auf das kommende Wanderjahr.
Nachtrag: Dass eine derartige Veranstaltung nicht zwangsläufig als Tour des Leidens anzusehen ist, sondern berechtigterweise als Wandergenuss mit Tiefenentspannungsmöglichkeit auf hohem Niveau empfunden wird, belegt die thematische Aufnahme im Blog www.genussliga.de. Unter http://www.genussliga.de/gast-
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