Der kürzeste Weg nach Bayern….

Wiesbaden, den 10. Mai 2017 –

Ziel dieser Rubrik ist es,  Halbtagestouren  mit interessanten Einkehrmöglichkeiten vorzustellen. Ob Biergärten, Sanges- oder Trunkesstätten, rustikale Schankwirtschaften ohne 3-Sterneküche und edlen  Tischgedecken  stehen dabei im besonderen Fokus. Ob Wandersfrau  oder –mann sich am langen Ende für Saft, Wasser oder einen Schoppen Wein entscheidet ist dabei nicht zwingend maßgebend.  Entscheidend ist die Wohlfühlatmosphäre – wobei der Gerstensaft aus grundsätzlichen Überlegungen durchaus zu bevorzugen ist. An dieser Stelle wird gerne auf die sehr zu empfehlende Lektüre „Fit mit Bier“ (Verlag Hans Carl) verwiesen.

Wiesbaden, lagebedingt als Tor zum Rheingau bekannt, blickt auf eine mehr als 1.200 jährige Weinanbautradition zurück. Dass der kürzeste Wege nach Bayern jedoch auch über Wiesbaden führt, ist weitestgehend unbekannt und lässt insbesondere Freunde des Gerstensaftes durchaus aufhorchen. Gestartet wird am Wiesbadener Hauptbahnhof. Schon die Wegweisung  “19 Minuten zu Fuß” bis zur einen Kilometer entfernten Innenstadt,  gibt Anlass zu Spekulationen . Wiesbaden bekannt als Kurstadt mit einem   mondänen Spielcasinobetriebes und teuren Shoppingstraßen mag als Benchmark für die Gehzeiten stöckelschuhtragende und pradahandtaschenschwingende Shopping-Amazonen zugrunde gelegt haben, anders sind diese Zeitangaben nicht erklärbar.

In Wiesbaden gelten für Fußgänger scheinbar andere Zeitmaßstäbe

Rasch ist das Wiesbadener Rathaus gegenüber dem Hessischen Landtag erreicht. Standesgemäß beherbergt das Rathaus einen Ratskeller, der ebenso standardmäßig eine zünftigen Gastronomie beherbergt. Ratskeller, früher auch Ratsklause genannt, haben im deutschsprachigen Raum eine lange Tradition und bezeichnen Gaststuben, die sich entweder im oder am  Rathaus befanden. Legendäre Ratsstuben wie in München, Bremen oder Leipzig sind weit über die Landesgrenzen bekannt. Der Baumeister des Münchner Rathauses übrigens, ein gewisser Georg von Hauberrisser, entwarf auch das Wiesbadener Rathaus nebst einem Untergeschoß, welches zunächst dem Rheingauer Standard entsprechend als Weinkeller gestaltet und später als Bierkeller ausgebaut wurde.

Heute wird der Ratskeller von der Bayrischen Gastronomie AG betrieben, die hier das Bier vom “heiligen Berg”, dem Kloster Andechs im Ausschank hat.  Im historischen Kellergewölbe hat der interessierte Besucher die Möglichkeit im Rahmen eines “Andechser Probierschlucks” alle sechs im Ausschank befindlichen Klosterbiere zu verköstigen, während oberhalb im „Biergarten“ gegenüber dem Hessischen Landtag nur große Krüge ausgeschenkt werden.  Man könnte darüber sinnieren, dass der bayrische Einfluss auf die Hessische Landesregierung nicht unbeträchtlich ist, so wird  berichtet, dass nach manch einer Parlamentsrunde der ein oder andere Abgeordnete schon im Ratskeller gesichtet wurde.  Der Ratskeller und das Andechserbier – allemal eine dicke Empfehlung für Liebhaber des Bieres.

Der Eingang zum Ratskeller, linker Hand der Hessische Landtag
Der Ratskeller – eine schöne historische Kammer
mit herrlichen Nischen  für Zwiegespräche
Zur ersten Orientierung: ein “Andechser Probierschluck”
Irgendwann sollte man Farbe bekennen: in diesem Fall ein klares Bekenntnis zum “Andechser Hell Spezial” – ein mächtiges Bier auf Welltklasseiveau
Bei schönem Wetter sehr zu empfehlen, der Biergarten in zentraler Lage in der Wiesbadener Fußgängerzone

Durch die belebte Innenstadt erreicht man innerhalb fünf moderaten Gehminuten die nächste Lokation “Ludwig“, die nach eigenen Angaben köstliche Schmankerl und vorzügliche Biere in stilvoller Hüttenatmosphäre anbietet.  Unter anderem wird eines der besten bayrischen Biere feilgeboten. Alteingesessene Münchner schwören auf diesen Sud,  und das zurecht.  Augustiner Edelstöffchen, legendär im Ruf, herausragend im Geschmack und wohlbekömmlich zudem. Auch wenn das Lokal nur halbherzig auf bayrisch getrimmt ist, das Interieur nicht unbedingt eine Hüttenatmosphäre ausstrahlt, der Schmankerlbogen  in der Speisekarte von Büsumer Nordseekrabben, Heringstöpfchen, “Himmel und Erd” bis hin zum Leberkäse unter der blauweißen Brille betrachtet deutlich überzogen scheint – mit einem gezapften Augustiner rückt das bayrische Feeling jedoch deutlich näher. Ein Ehrenpunkt für den gastronomischen Betrieb hat allemal die Herrentoilette verdient – die Einrichtung, eine Hommage an das benachbarte Bundesland.

Das Ludwig in der Wagemannstraße
Über das “bayrische getrimmte Ambiente” kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein
Wenn – dann sollte es schon ein bayrisches Pils sein, beispielsweise aus dem Frankenland, dort wo das Epizentrum der bayrischen Pilsbrauer liegt..
Aber……………. Augustiner Edellstöffchen, mithin das Feinste in Bayern produziert wird – Respekt…
Auch das gibt Fleisspunkte – die königlich bayrische Toilette

Nach diesem bierseligen Auftakt führt der Weg durch die Innenstadt zum Kochplatz, dort wo die heisseste und größte Quelle Wiesbadens sprudelt. Der Kochbrunnen, gibt jährlich 250.000 Kubikmeter 66 Grad heißes Wasser frei.  Just einen Tag zuvor wurde der Brunnen stillgelegt, damit städtische Mitarbeiter mit Bohrmaschine, Spitzhacke und Spaten fünf Tonnen Sintersteine abtragen konnten, die sich hier jährlich ansammeln. Manch ein Wiesbadener hatte dies auchzum Anlass genommen, einen Sinterbrocken als Andenken abzuholen. Das Thermalwasser kommt übrigens aus 2.000 Meter Tiefe aus einer unterirdischen Spalte vom Vogelsberg unter dem Taunus hindurch nach Wiesbaden, wo es aus 26 Quellen an die Erdoberfläche gelangt. Schon die Römer nutzten das Wasser als Heiltrank. Da das Wasser jedoch auch Arsen enthält wird eine tägliche Höchstmenge von 0,4 Liter empfohlen. Demgemäß scheint der kontrollierte Genuss von erlesenen bayrischen Bieren verträglicher zu ein, zumindest wenn man anschließend nicht mit dem Fahrzeug unterwegs ist.

Ein “muß” für Architekturstudenten: in Wiesbaden findet man fast alle Baustile: ob Renaissance (Altes Rathaus), Jugendstil (Kaiser Friedrich Therme), Klassizismus (Stadtschloss), Neobarock (Staatstheater), Neorenaissance (Kurhaus), Neogotik (Marktkirche), Industriezeitalter (Bergbahn), Romanisierend (Römertor), Historismus pompejanisch (Villa Clementine), Russische Sakralarchitektur (Russische Kirche), Rokoko (Christophoruskirche), Neues Bauen (Opelbad), Historismus (Weißes Haus) oder Neoromanik (Ringkirche).
Der Kochplatz mit einem würdigen Erinnerungsposten an die deutsche Wiedervereinigung
Der Kochbrunnen – rege genutzt von Einheimischen und Gästen
Der ewig dampfende Hauptbrunnen am Kochplatz, aktuell vom Sintergestein wieder freigelegt

Mit dieser Erkenntnis führt der Weg in die Wiesbadener Wilhelmstraße, 60 unweit der heißen Quelle gelegen. Die Paulanerkette hat mittlerweile im Bundesgebiet stattliche Gaststätten, die einen authentisch bayrischen Flair versprühen, eingerichtet. So zeigt sich auch das Wiesbadener Haus von einer sehr angenehmen Seite. Die Speisekarte authentisch, die Essensportionen stattlich, die Räumlichkeiten großzügig, die im Ausschank befindlichen Biere von guter Qualität. In der Verprobung ein frisch gezapftes Münchner Helles, feinwürzig im Geschmack, im Vergleich mit den Vorgängerbieren jedoch eine Spur zu flach im Abgang, allemal aber auch ein Premiembier. Mag die versteckte Lage der Gaststätte ein Manko sein, jedoch die Lokation als solche, eine sehr zu empfehlende Adresse, insbesondere auch für größere Gesellschaften.

Gut versteckt liegt der Paulaner Biergarten in einem Innenhof, vis a vis des berühmtesten Stadthotels
Eine einladende Gaststube
Die Zentrale des Wirtshauses – auch sehr ansehnlich gestaltet
Konsequenterweise auch hier ein “Helles”
Die Speisen deftig und mehr als ausreichend
So manch ein Gast erinnert sich aber auch daran, dass im Rheingau Wein angebaut wird

Nach drei Gaststättenbesuchen ist ein ausgedehnter Frischluftgang durchaus angebracht und anzuraten. Die Wilhelmstraße querend steht man unmittelbar vor dem Wiesbadener Kurhaus. Wanderer sollten keine Hemmung haben das Kurhaus mit angeschlossenem Kasino zu betreten und zu durchqueren um am anderen Ende des Gebäude einzutauchen in den Kurpark und der sich anschließenden Kuranlagen. Entlang des Salzbaches führt die Passage durch das langgezogene Areal. Links und rechts des Parks befinden sich stattliche historische Gebäude. Alles in allem eine ausgesprochen gepflegte Wohngegend auf höchstem Niveau.  Am Sonnenberg geht es zurück Richtung Innenstadt, vorbei an zahlreichen Kurkliniken, die sich hier niedergelassen haben.

Das Wiesbadener Kurhaus
Betreten und Durchgang gestattet
Und durch diesen Kurteich fließt der Salzbach durch
Der Kurpark – eine Oase der Stille
Links und rechts…
…säumen prachtvolle Bauten den Park
Wiesbadener Flair: Ein Plausch am Netz zwischendurch
Postmoderner Bauhausstil – kubistisch aufgebohrt….
..während nebenan ältere aufwändig restauriert Bauten die Straßenzüge bereichern
Wiesbaden – eines der teuersten Pflaster des Bundesgebietes

Die letzte Station dieser Expedition ist „Die Hütte“ direkt an der Frankfurter Straße gelegen. Per se eine zunächst unspektakuläre Lokation, die augenfällig mit keiner Besonderheit aufzuwarten hat. Jedoch. und das ist bei näherer Betrachtung bemerkenswert, der Wirt gibt sich nicht mit dem üblichen Standard zufrieden. Das Beste soll es sein was der Markt zu bieten hat – zumindest aus biertechnischer Brille betrachtet.  Für Liebhaber des dunklen Bieres wird durch den Zapfhahn das älteste Klosterbier des Planeten, das gute Bräu aus dem Kloster Weltenburg und für Liebhaber besonders edler Biere zwei Premiumbiere aus Ayingen gejagt.

Die Hütte – für den Vorbeigehenden unspektakulär an der Straße gelegen…
jedoch – der scharfe Beobachter erkennt sofort das Wesentliche….
Ayinger – sowohl national als auch international zu den meist ausgezeichneten Bieren der Welt zählend . Und das zurecht!
Schlichtweg ein Traum – Ayinger Weißbier vom Faß

Keine Frage,  zum würdigen Abschluss einer bierlastigen Wanderung muss es zunächst ein Ayinger Helles und zum großen Finale ein Ayinger Weißbier sein. Unumstritten in der Szene, dass maßgeblich die herausragende Wasserqualität die in Aying als Grundlage für die Biere herangezogen wird, den Gerstengetränken aus dem östlichen Großraum Münchens eine besondere Note verleihen. Demgemäß überrascht das Ergebnis keineswegs. Die Ayinger Braumeister haben ganze Arbeit geleistet – die Qualität ist nur schwer zu toppen –ein würdiger Abschluss an einem Sonnentag in der hessischen Landeshauptstadt unter blauweißem Himmel mit einer besonderen bayrischen Aussprägung. Gut zu wissen, dass man hier eines der weltbesten Biere verköstigen kann. Von “Der Hütte” zum Bahnhof rund 800 Meter, nach Wiesbadener Zeitmaßstäben durchaus in 15 Minuten gangbar. Zurück geht es per Bahn via Darmstadt, wobei der Zug stündlich richtung Aschaffenburg weiterfährt. Aschaffenburg als erste bayrisch/fränkische Destination hinter der Landesgrenze bietet ebenso attraktive Einkehrmöglichkeiten , was demnächst zu beleuchten ist. Der kürzeste Weg nach Bayern…führt durchaus über Wiesbaden.. Ach ja die Strecke: übersichtliche 13 Kilometer mit unaufdringlichen 231 Höhenmetern

Eine Wertung für Wiesbaden? Ein klarer erster Platz, zwei ausgezeichnete zweite Plätze und ein würdiger Dritter
Stündlich rauscht eine Regionalbahn in das fränkische Aschaffenburg….

2 Kommentare

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*